Für alle Ereignisse in unserem Leben gilt:
Alles hat einen Sinn, der entdeckt werden kann.
Dabei ist die Voraussetzung für alle gleich:
Der Mensch wird wertgeschätzt, wie auch immer er ist und was auch immer er ist.
Ob arm oder reich, krank oder gesund, behindert oder nicht behindert macht dabei keinen Unterschied.
Die Frage: Was mache ich mit meinem behinderten bzw. eingeschränkt lebensfähigen, kleinen oder erwachsenen Kind, wenn ich ausfalle, lastet schwer auf den Herzen der Eltern dieser „Schutzbefohlenen“.
Jede Idee für eine Lösung wird umgehend begleitet von einem schlechten Gewissen. Dürfen bzw. können wir Eltern unseren eigenen Weg wirklich gehen, so sehr wir es auch möchten und benötigen?
Es ist uns bewusst, dass wir ab einem bestimmten Alter eine Umgestaltung unseres Lebens mit oder eben ohne unsere Sorgenkinder vornehmen müssen. Gesundheitliche aber auch emotionale Veränderungen zwingen uns zum Umdenken.
Wir müssen irgendwann beginnen, auch endlich einmal auf uns selbst zu achten.
Wir müssen lernen, mit unseren Ängsten und Sorgen um das behinderte, mittlerweile erwachsene Kind umzugehen und klar zu kommen. Und zwar in einer anderen Form als all die Jahre zuvor.
Jedoch, es ist so schwer! Wir haben unsere Kinder gepflegt und gefördert. Nur wir wissen, was sie wirklich brauchen und benötigen für den täglichen Ablauf. Geben wir sie jetzt aber in andere Hände, kann sie das vielleicht auf verschiedenen Ebenen zurückwerfen.
Vieles können wir Eltern dabei wagen; aber, die gesundheitliche Sicherheit unseres Kindes aus der Hand zu geben, ist für uns unvorstellbar.
Eine Frage, die sich auf dem Workshop ergab, war:
Kann wirklich alles in einem „Behinderten Testament“ verankert werden?
Eine andere Frage:
Wo kann ich mir konkrete Hilfe für diese Loslösung holen, war das Kernthema dieses Tages.
Die persönliche Meinung, wir Eltern möchten unser kleines oder erwachsenes, behindertes Kind bis zu seinem Tod begleiten, da wir mit der Trauer schon gut klarkommen werden, ist irrig.
Wir müssen lernen auch Trauer und Abschied zuzulassen.
Wenn sich die Lebenswege von Eltern und Kindern trennen, sollten wir verinnerlichen, dass unser Werk nun vollbracht ist. Das Leben müssen wir schon zu Lebzeiten loslassen.
„Ich liebe dich, mein Kind, weil ich glaube. Ich glaube, dass du es auch ohne mich schaffen kannst.“
Ein Leben lang haben wir in unserem Innersten um unsere Kinder getrauert, weil sie nicht das normale Leben führen konnten. Wir haben uns entschieden, dieses Gefühl tief in uns zu vergraben.
Denn die Realität sah so ganz anders aus. Es ist uns auch gelungen, unsere Kinder bei ihrer Entwicklung zu fröhlichen, maximal gesunden und selbständigen Wesen anzuleiten und zu unterstützen. Denn sie zeigen uns dies täglich. Ein Kind sagen zu hören: „Mama, ein Leben im Rollstuhl ist auch schön“, sollte uns entlasten.
Dies zeigt, dass es falsch ist, von geistiger Behinderung zu sprechen. Der Geist, d.h. die Seele kann nicht behindert sein. Denn sie ist frei, wie bei allen Lebewesen. Aber, sie kann krank werden und weist dann geistige Einschränkungen auf. Da die Seele nicht gesteuert werden kann, ist es auch nicht möglich, sie zu behindern.
Aber, zurück zum Loslassen. Uns Eltern muss deutlich sein, was wir alles geleistet haben, weil wir es so wollten. Also, ist es folgerichtig auch zu erkennen, dass wir das können, was wir wirklich wollen. War es unser Plan, unsere Kinder mit all ihren Einschränkungen zu einem eigenen Leben zu führen, müssen wir ihnen irgendwann auch zutrauen und zugestehen, es ohne uns zu schaffen. Ohne Frage benötigen sie mitunter weiterhin eine Begleitung; jedoch nicht zwangsläufig durch unsere Person.
Sind Eltern jedoch, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage, die Kinder aus ihrer Obhut zu entlassen, müssen sie sich auch nicht zwingen, es zu “wollen“. Dann bleiben die Eltern in vertrauter, unausweichlicher Abhängigkeit und müssen damit zufrieden sein.
Vom Geist, vom Gefühl erhalten wir Eltern die Signale zum Loslassen. Dann kann der Geist den Verstand abholen und mitnehmen. Dem Verstand müssen wir die Möglichkeit geben, das zu verstehen, was der Geist schon lange weiß. Also, dies bedeutet für uns Eltern, wir müssen uns zu keinem Schritt drängen oder zwingen; aber, wir sollten ihn nicht aus den Augen verlieren und auf das Ziel, unsere Kinder auch in andere Hände, an andere Personen weiterzureichen, hinzuarbeiten.
Was gilt es nun zu verstehen?
- Unsere herangewachsenen Kinder müssen – evtl. ganz langsam und behutsam – aus der Familienstruktur herausgelöst werden.
- Dazu können wir Eltern ein Netz spannen. Dies bedeutet, dass wir sie in eine neue Sicherheit überführen, indem wir nach geeignetem Ersatz für uns, andere Begleiter oder Pfleger suchen.
- Es ist unausweichlich, dass dabei allem voran wir Eltern bereit sein müssen, gewohnte Wege zu verlassen.
- Unseren Frust und unsere positiven Verdrängungsmechanismen wie:
ich schaffe die Betreuung auch weiterhin und meinem Kind geht es bei mir am besten,
können nur wir allein und müssen wir umwandeln in: der neue Weg, den ich beschreiten will,
gefällt mir!
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Workshop im theoretischen Bereich abgespielt.
Es waren die Gedanken und Empfindungen der Eltern, die zum Ausdruck kamen und gesammelt wurden.
Angeleitet durch Frau Hick-Mühl konnte die Gruppe die genannten Erkenntnisse entwickeln und sich eine andere Sichtweise auf die Thematik erarbeiten. Der erste Teil dieses Austausches hatte sich damit im bisher gewohnten Alltag aufgehalten. Es hatte sich gezeigt, dass es zunächst notwendig gewesen war, sich mit Sorgen und Ängsten seitens der Eltern zu befassen.
Im zweiten Teil des Workshops folgte dann die Erarbeitung von Maßnahmen, um Pläne für die Zukunft zu schmieden.
Wie ist es den Teilnehmern der Selbsthilfegruppe „Gesprächskreis für Eltern behinderter und chronisch kranker Kinder“ nun möglich, den „Aufbau einer Notfallbegleitung behinderter und chronisch kranker Kinder“ anzugehen und schließlich umzusetzen?
Dieser Punkt wird jetzt auf den Gruppenabenden vertieft und erarbeitet werden.
Dazu werden Fragebögen entwickelt werden, um eine Bedarfserfassung zu erstellen mit Themen wie:
- Krankheitsbild unserer (erwachsenen) Kinder
- Notwendige Unterstützung für unsere (erwachsenen) Kinder
- Aktivitäten mit unseren (erwachsenen) Kindern
- usw.
Diese Ausarbeitung soll dann in der Folge auch Eltern zur Verfügung stehen, die nicht am Workshop teilgenommen haben.
Es wird auch weiterhin professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden von Referenten wie: Ärzten, Rechtsanwälten, Behinderten- und Pflegeeinrichtungen uvm.
Ein weiterer Workshop im nächsten Jahr ist geplant.
Verfasserin: Cornelia Peichert